Erfahrungsbericht: Von der Lagerlogistik zur Industrie 4.0
Bereits kurz nach meinem Realschulabschluss absolvierte ich einige Praktika in verschiedenen Unternehmen aus sehr unterschiedlichen Branchen. Einfach um einen Überblick zu erhalten, welche Möglichkeiten mir der Arbeitsmarkt mit meinem Schulabschluss bot, wo meine Fähigkeiten am besten aufgehoben waren und welche Perspektiven mir Handel und Industrie aufzeigen konnten. Da ich zu dieser Zeit noch etwas orientierungslos war und nicht (wie die meisten meiner Mitschüler) blindlings in eine beliebige Handwerksausbildung schlittern wollte, gewann ich durch insgesamt diverse Praktika und einige Nebenjobs im Einzelhandel eine recht klare Richtung, in der ich mich ausbilden lassen wollte. Meine Wahl fiel auf einen kleinen, familiär geführten Ausbildungsbetrieb am Rhein, in dem ich eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik absolvierte.
Jetzt kann ich durchstarten – dachte ich ...
Mit dem Staplerführerschein in der Tasche beschränkten sich die letzten Monate meiner dreijährigen Ausbildung auf das Verladen von Waren und Paletten. Der Einstieg ins feste Arbeitsverhältnis war nicht der Rede wert, da ich bereits während der Ausbildung alle Abläufe verinnerlicht habe. Stressig wurde es jedenfalls nie, alles lief recht träge ab. Da bereits ein Staplerfahrer mit über 15 Jahre Betriebszugehörigkeit in der Firma arbeitete, gab es auch nicht wirklich viel für mich zu tun. Andere Aufgaben wurden mir zunächst nicht zugeteilt. Es hat mich zunehmend genervt, dass ich so wenig der Kenntnisse und Inhalte aus der Berufsschule anwenden konnte. Der Wegfall der Berufsschule hinterließ ohnehin ein klaffendes Loch in meiner wöchentlichen „Arbeitszeit“ und in mir kam schnell das Gefühl auf, dass man mit meiner Übernahme in ein festes Angestelltenverhältnis lediglich eine schriftliche Zusage einlösen wollte, meine Arbeitskraft aber nicht wirklich notwendig gewesen wäre.
Zettelwirtschaft statt Digitalisierung
Erst gegen Ende meines ersten Berufsjahres fand man eine andere Beschäftigung für mich, nachdem ein Vorarbeiter mir aufgrund einiger Vorschläge zur Verbesserung der Warenlagerung eine gute Analysefähigkeit und Kreativität attestierte. Fortan durfte ich als Fachkraft für Lagerlogistik endlich das machen, wovon ich die ganze Zeit ausgegangen war. Warenkontrolle entpuppte sich zwar als recht öde Angelegenheit, war aber auch nur Lückenfüller zwischen meinen neuen organisatorischen Tätigkeiten, die die Zusammenstellung von Tour- und Verladeplänen umfasste.
Dabei fiel mir auf, dass die „Laufzettel“, die Lageristen, der alte Staplerfahrer und der Warenausgang austauschten, regelmäßig verloren gingen und es hin und wieder vorkam, dass handschriftliche Randnotizen nicht dechiffriert werden konnten. Dies führte dazu, dass Laufzettel diverse Ehrenrunden drehten, bevor die Ware ordentlich verladen werden konnte. Das resultierte nicht nur in unzufriedenen Kunden, sondern endete hin und wieder auch in einer Konventionalstrafe, über die sich der Chef dann tagelang aufregte. Am Ende war es alles einfach eine chaotische Zettelwirtschaft.
Industrie 4.0 light – erste Berührungspunkte
Ich stellte kurzerhand ein Freeware(!)-Tool zur digitalen Erfassung besagter Laufzettel vor, um die Abläufe zu beschleunigen. Meine Gedankenspiele gingen aber bereits weiter: Selbst an einem einfachen IT-System, um Lagerräume optimal zu nutzen, mangelte es. Alles war immer ein wenig „Tetris“ und Augenmaß des Staplerfahrers. Dass ich meiner Vision von fahrerlosen Transportbändern in diesem Familienbetrieb nicht hätte umsetzen können, war mir klar. Dass aber bereits die Idee eines digitalen Laufzettels, die für unter 2.000 € Hardware-Kosten hätte umgesetzt werden können, auf heftige Ablehnung stieß, hat mich dann doch erschreckt. „Zukunftsmist“ und „Das versteht doch keiner!“ waren Sätze, die ich zu hören bekam und mir zeigten, dass es Zeit war, sich beruflich umzuorientieren. Industrie 4.0 hieß mein Schlagwort, da gehörte ich hin. Über die vierte industrielle Revolution, die genau solche Ideen schätzt, Digitalisierung auch in der Logistik vorantreibt und nach der Optimierung klassischer Prozesse lechzt, hatte ich viel gehört. In diesem Betrieb verstand mich niemand. Und wie sagt man? „Wenn du der Klügste in einem Raum bist, bist du im falschen Raum“. Also wechselte ich ihn.
Meine Weiterbildung: Industrie 4.0
Mit der Weiterbildung zum Industrie 4.0 Experten traf ich die vermutlich beste Entscheidung meines bisherigen Berufslebens. Die Beweggründe dafür konnte ich gut vorbereitet sogar bei der Agentur für Arbeit vortragen, worauf hin mir ein Bildungsgutschein zugesichert wurde und ich mir keine Sorgen darüber machen musste, ob und wie ich die Weiterbildung ohne nennenswerte Ersparnisse hätte finanzieren können. Genau genommen stieß meine Umschulung in Richtung Industrie 4.0 auf starken Zuspruch und auch Kosten für Fachbücher sowie die Anfahrt zur Bildungsstätte wurden übernommen.
Die Weiterbildung selbst empfand ich als äußerst lehrreich und vielseitig. Die kurzweiligen Module beleuchteten nicht nur verschieden Methoden, Branchen, Problemfelder und Einsatzmöglichkeiten, sondern auch das unglaubliche Potenzial, auf das ich als Fachkraft in einem transformationsbereiten Unternehmen bald treffen würde. Auch meine Ausbildung als Lagerlogistiker kam mir mehrfach zugute, weil ich Problemfelder aus der Praxis bereits kannte und inzwischen wusste, dass es selbst in kleinen Unternehmen mit geringen finanziellen Mitteln großen Spielraum für Optimierungen gab.
Die beste Entscheidung meines Lebens
Der Arbeitsmarkt für Fachkräfte im Bereich Industrie 4.0 entpuppte sich als traumhaft und ich hatte zunächst Schwierigkeiten, mich für ein Unternehmen zu entscheiden. Der Hunger nach Fachkräften schien riesig und deckte praktisch alle Branchen ab. Dass ich mich dazu entschied, die Branche nicht zu wechseln – was durchaus möglich gewesen wäre – sondern mein Vorwissen im Bereich Logistik weiterzuentwickeln, schränkte den Kreis potenzieller Arbeitgeber auf einige mittelständische und große Unternehmen in meinem Einzugsgebiet ein. Mehr als genug Auswahl, dachte ich.
Ich hatte in mehreren Vorstellungsgesprächen das Gefühl, dass nicht ich mich bei einem Unternehmen bewerbe, sondern das Unternehmen bei mir bewirbt. Das war ein tolles Gefühl. Benefits waren schön und gut, aber das, was ich wirklich wollte, wurde mir auf dem Silbertablett serviert: eine neue berufliche Perspektive.
Heute arbeite ich fest verankert und zukunftssicher an der Optimierung von Lagersystemen eines großen Intralogistik-Unternehmens. Nächstes Jahr darf ich meinen Ausbildereignungsschein machen, um junge Nachwuchskräfte in unserem Unternehmen auszubilden und Raum für neue, kreative Ansätze zu schaffen. Einen Gabelstapler steuere ich nicht mehr, dafür hin und wieder eine Drohne, um die Lagereffizienz zu überwachen.